Vertrauen in virtuellen Organisationen
Die Studie des Monats
Wie bildet sich Vertrauen in virtuellen Arbeitsumgebungen?
Millionen Menschen auf der ganzen Welt arbeiten in virtuellen Arbeitsumgebungen, sowohl in Vollzeit wie in Teilzeit, und seit der Corona-Krise hat sich diese Form der Arbeit schneller und stärker ausgebreitet, als jemals zuvor. Sei es als freiberuflicher Experte für eine bestimmte Aufgabe, als Subcontractor für Projekte irgendwo in der Welt oder als Festangestellter eines Unternehmens, das in einer ganz anderen Region seinen Sitz hat: Die Arbeitsergebnisse dieser so genannten Remote Worker leisten einen Beitrag zur globalen Wirtschaft in Höhe von vielen Milliarden Euro pro Jahr.
Aber welchen Einfluß hat zum Beispiel die Unternehmenskultur auf die virtuellen Mitarbeiter? Spielt sie überhaupt eine Rolle? Profitieren die virtuellen Kolleginnen und Kollegen von den gleichen (oder ähnlichen) Incentives, die auch die Mitarbeiter vor Ort erhalten?
Ich habe bereits vor 20 Jahren mein erstes virtuelles Projekt-Team in Brasilien und Schottland geführt, damals im Bereich Business Telefonie für Ericsson/Damovo. Bereits damals waren viele Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter u.a. in Indien, Vietnam, Thailand, Osteuropa und Südamerika für ganz unterschiedliche Service-Anbieter tätig. Gut ausgebildete indische Ärzte beurteilten schon damals Röntgenbilder europäischer Kliniken und verfassten Konsiliar-Gutachten. Buchhaltungskräfte erfassten massenweise Belegdaten, Architekturstudenten erledigten Masseberechnungen für US-amerikanische Architekturbüros und Heerscharen von virtuellen „personal assistants“ erledigten von der Reservierung für Mietwagen bis hin zur Kartenbuchung für das nächste Konzert in New York virtuell diejenigen Arbeiten, für die sich der gestresste Manager keine Zeit nehmen wollte.
Unsere Studie des Monats mit dem Titel „Perceived Organizational Climate & Interpersonal Trust among Virtual Workers“ erschien bereits im Jahr 2016 und wurde von Arvind Kaur Birdie und Madhu Jain im Indian Journal of Industrial Relations (Vol. 51, No. 4) veröffentlicht. Beide Wissenschaftler sind an der IIMT School of Management in Gurgaon / Haryana (Indien) tätig. Die Studie belegt, dass eines der größten Probleme in der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und ihren virtuellen Mitarbeitern das Thema „Vertrauen“ ist.
Die Forscher fanden heraus, dass die Unternehmenskultur des Arbeitgebers das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Mitarbeiter stark beeinflusst. Insbesondere Faktoren wie Leistungskennzahlen, Standardvorgaben, die Art und Weise von Streitschlichtungen und Konfliktlösungen wirken sich stark aus. Auch die Ausgestaltung von Incentive-Systemen und andere Faktoren haben einen direkten Einfluß auf das Vertrauensverhältnis im Unternehmen.
Wie mit diesen Fragen umgegangen wird, wirkt sich direkt auf die Motivationslage der Mitarbeiter aus, die vor Ort tätig sind und den persönlichen Kontakt untereinander pflegen können. In Bezug auf die virtuellen Mitarbeiter, die ja nicht Teil der internen Firmenkultur vor Ort sein können, sind die Folgen aber noch viel gravierender, weil sie wegen des fehlenden persönlichen Kontakts häufig Situationen und Äusserungen missdeuten oder falsch interpretieren. Sie haben daher größere Probleme als ihre Kollegen vor Ort, Vertrauen aufzubauen.
Der Einfluss des unternehmensklimas
Die Forscher stellten heraus, dass aus „der psychologischen Perspektive der wesentliche Punkt ist, ob … die Mitarbeiter das Organisationsklima im Unternehmen als positiv empfinden und ob sie die Art von vertrauensvollen Beziehungen mit anderen Mitarbeitern im Büro auch dann etablieren können, wenn formale und informelle Meetings nur noch virtuell und remote stattfinden können.“
Wie kann auch für virtuell arbeitende Mitarbeiter ein vertrauensvolles Unternehmensklima erschaffen werden?
Birdie und Jain heben hervor, dass „zwischenmenschliches Vertrauen, die Art der Kommunikation zwischen den Kollegen, die verwendeten Informationssysteme, das Incentive-System und die Organisationsstruktur eine große Rolle dabei spielen, ob sich Mitarbeiterbeziehungen bilden können, die zum Beispiel auch das Teilen von Wissen unterstützen.“
Die folgenden fünf Dinge können gemäß der Studienergebnisse dazu beitragen, das Vertrauen zwischen Kolleginnen und Kollegen und zwischen Mitarbeiter und Unternehmensleitung zu stärken:
- Fördern Sie das persönliche Gespräch über die verfügbaren Video-Kanäle, wie Zoom oder MS-Teams. Es ist für uns Menschen wesentlich einfacher, Vertrauen aufzubauen, wenn wir das Gesicht unseres Gesprächspartners sehen können.
- Für Bewerber sollten Sie sich im Rahmen des Recruiting besonders Zeit nehmen und ihnen in virtuellen Interviews deutlich machen, was die besondere Kultur Ihres Unternehmens ausmacht. Für eine gelungene Integration in Ihr Unternehmen ist hier besondere Sorgfalt bei der Konzeption und Umsetzung von Orientierungsprogrammen für neue Mitarbeiter gefragt. Beachten Sie, dass diese Programme für virtuelle Mitarbeiter länger Zeit benötigen, um zu wirken.
- Organisieren Sie regelmässige Face-2-Face-Meetings und fördern Sie jede Gelegenheit, um sich gegenseitig persönlich besser kennenzulernen. Insbesondere der regelmäßige persönliche Kontakt zu Vorgesetzten ist für Mitarbeiter im home Office oder remote besonders wichtig.
- Entwickeln Sie – falls noch nicht geschehen – organisatorische Möglichkeiten und schaffen Sie die baulichen Voraussetzungen dafür, dass auch Ihre Mitarbeiter mit Home Office Arbeitsplätzen regelmäßig ins Büro kommen können und dort einen temporären Arbeitsplatz vorfinden.
- Schaffen Sie Arbeitszeitmodelle wie Job Sharing zwischen Mitarbeitern vor Ort und Kollegen im Home Office. Ihre Organisation wird dadurch flexibler und kann auch in kritischen Situationen schnell reagieren, weil das Know-how sowohl vor Ort wie digital zur Verfügung steht.
- Gerade in Zeiten von Home Office und eingeschränkten sozialen Kontakten ist es wichtig, kleine soziale Events zu schaffen, wie die „virtuelle Tasse Kaffee“, „ein kleiner Geburtstags-Drink zum Feierabend“ etc. Beziehen Sie – sobald wieder möglich – auch und gerade Ihre Home Office Mitarbeiter und Freelancer in Ihre sozialen Aktivitäten mit ein, um persönliche Verbindungen zu schaffen.
- Fördern Sie das Zusammengehörigkeitsgefühl, zum Beispiel durch die Organisation von gemeinsamen Freizeit-Aktivitäten oder Offsite-Workshops.
- Als Incentive für virtuelle Mitarbeiter kann die automatische Mitgliedschaft in einem lokalen Club oder Verein gehören oder die Möglichkeit, mit Unterstützung der Firma einen günstigen Urlaub an einem anderen Firmenstandort zu machen. (Eine meiner erfolgreichsten Ideen war das Angebot für Mitarbeiter, Urlaub in einem Firmen-Appartment in London machen zu dürfen.)
Es wird nicht immer möglich sein, alle oben genannten Ideen umzusetzen, wenn ein Teil Ihrer virtuellen Mitarbeiter z.B. in Indien arbeiten. Innerhalb Europas gibt es da schon mehr Möglichkeiten, bestimmte Maßnahmen zur Vertrauensbildung umzusetzen, weil viele Restriktionen in Bezug auf Visa, Reisen etc. wegfallen.
Festzuhalten bleibt: Die soziale Seite spielt eine wichtige Rolle, um die Beziehungen aller Mitarbeiter untereinander zu verbessern, eine Kultur der Zusammengehörigkeit und des Vertrauens zu schaffen und sowohl externe feste Mitarbeiter wie Festangestellte im Home Office an das eigene Unternehmen zu binden.
Eine vertrauensvolle Unternehmenskultur hat damit letztlich auch einen großen Einfluss auf das persönliche Engagement der Mitarbeiter, ihre Bindung an das Unternehmen, die Anziehungskraft für neue Talente und die Arbeits- und Ergebnisqualität. Vertrauen und gegenseitiger Respekt ist, was Menschen erwarten!