Kann man Empathie lernen?

Die Studie des Monats

 

Was bringen Ausbildungen zu Themen wie „Emotionale Intelligenz“ oder Empathie wirklich?

In einer Welt, in der Neid die Gesellschaft bestimmt, ist es besonders wichtig, dass es Menschen gibt, die empathisch sind, ihre Mitmenschen verstehen und sich für Belange anderer Menschen engagieren. Die Möglichkeit, empathisches Verhalten lernen zu können und Empathie über die reine Verfolgung monetärer Ziele zu stellen, ist besonders wichtig, wenn wir die grundlegende Struktur unserer menschlichen Gesellschaft und ihrer Werte erhalten wollen.

Viele Unternehmen führen Empathie als wichtigen Wert in ihren Unternehmens-Leitlinien und Mission Statements auf. Das geschieht meistens, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wie Empathie im Unternehmen verankert werden kann und wie Mitarbeiter zu mehr empathischem Verhalten angehalten werden können.

Häufig starten dann Ausbildungsinitiativen zum Thema „Emotionale Intelligenz“ mit Titeln wie „Entwickle Deinen EQ!“. Bei näherer Betrachtung handelt es sich dabei vielfach um Powerpoint-basierte Trainings, bei denen der Kopf durch kognitive Übungen angesprochen wird, obwohl es doch darum gehen sollte, die emotionalen Fähigkeiten und das Herz der Teilnehmer anzusprechen und ihnen zu zeigen, wie sie ihre Emotionen besser regulieren können. 

Die folgenden Ergebnisse stammen aus einem Roundtable Kolloqium an der Virginia Commonwealth University in den U.S.A., das Anfang 2020 stattgefunden hat. Die Expertenrunde beschäftigte sich mit der Frage, ob und wie man Empathie lernen kann und wie Empathie in Organisationen etabliert werden kann.

 

Was ist Empathie?

Empathie ist die Fähigkeit, zu verstehen, was ein anderes Lebewesen – egal ob Tier oder Mensch – erlebt und fühlt, und zwar aus seinem eigenen Bezugsrahmen heraus. Empathie ist also mit anderen Worten die Fähigkeit, sich selbst in ein Gegenüber hineinzuversetzen und Situationen oder Dinge aus dessen Perspektive zu erleben, obwohl man sich dabei bewusst ist, dass seine Emotionen nicht meine Emotionen sind. Es geht also nicht darum, z.B. den Schmerz oder die Trauer des anderen als eigene Gefühle zu erleben, sondern zu verstehen, wie der andere den Schmerz fühlt, ohne dabei selbst in Tränen auszubrechen.

Um zu empathischem Verhalten fähig zu sein, bedarf es also einer komplexen Mischung aus emotionalen und kognitiven Fähigkeiten. Darüber hinaus ist ein hohes Maß an Bewusstsein und Aufmerksamkeit nötig, einerseits für die eigenen Gefühle, andererseits für die Wahrnehmung des Gegenübers.

 

Im Kolloqium wurden 5 Möglichkeiten diskutiert, Empathie in Form einer Ausbildung oder eines Trainings zu vermitteln!

    1. Man verschafft den Teilnehmern des Kurses verschiedene Möglichkeiten, die eigene Empathie zu entwickeln. Dies geschieht zum Beispiel durch
        • Die bewusste Beobachtung der emotionalen Erfahrungen anderer Menschen
        • Ausbilden der Eigenverantwortung
        • Übungsaufgaben, um Menschen in ihrem persönlichen Umfeld besser kennenzulernen, insbesondere Menschen, mit denen sie üblicherweise nichts zu tun haben.
        • Übungen, um die persönlichen Verbindungen und Gemeinsamkeiten zwischen sich selbst und Fremden zu entdecken.
        • Die Konfrontation mit ihrer eigenen Wahrnehmung einer bestimmten Situation vor und nach den Übungen.
    2. Empathie als Teil des eigenen Reflexionsprozesses etablieren, z.B. dadurch, dass die Teilnehmer dazu angehalten werden, täglich Tagebuch zu führen und ihre Selbsteinschätzung zur eigenen Empathie auf einer Skala von 1-10 einzuordnen. Die Auswertung dieser Einschätzungen am Ende des Ausbildungsprogramms zeigen dann eine bestimmte Entwicklung auf.
    3. Die Einführung, Ausbildung und praktische Anwendung der Werkzeuge aus einem „Empathie-Werkzeugkasten“, sowohl im Kurs selbst wie in Lebenssituationen außerhalb des Kurses. Diese Werkzeuge sind:
        • Aktives Zuhören
        • Empathische Kommunikation
        • Kulturelle Kompetenz
        • Bewältigung von Komplexität und
        • Respekt und gegenseitige Wertschätzung
    4. Die Anpassung der Lernumgebung, des Aussehens der Seminarräume etc. kann den Lernprozess unterstützen. Im traditionellen „Klassenraum“ ist das Mobiliar auf den Vortragenden und ggf. eine Multimedia-Wand fokussiert. Der Seminarraum sollte hier das Herumwandern im Raum, den Platzwechsel oder die Nutzung unterschiedlicher Sitzbereiche unterstützen, um direkte Kontaktaufnahmen zu erleichtern, Arbeitsgruppen bilden zu können etc.
    5. Belohnung von empathischem Verhalten und Einbeziehung von Empathie als Kriterium in die gemeinsame Definition von Erfolg für die Gruppe.

     

    Mein Resumee

    Um empathisches Verhalten zu fördern und Empathie als Teil der Unternehmenskultur zu etablieren, sind andere Workshop- und Ausbildungsformate nötig als die bisher üblichen. Denn es geht eben nicht um Wissensvermittlung, sondern um das persönliche Erleben und die eigene Erfahrung, um die Empathie-Fähigkeit der Teilnehmer zu fördern und herauszufordern.

    Entsprechende Formate können leicht eingeführt werden, brauchen aber für ihre Wirksamkeit das nachhaltige Engagement und die Unterstützung durch das obere Management.

    Einmalige Initiativen wie – kürzlich bei einem Unternehmen zufällig gesehen – der „EQ-Führerschein“ schaden mehr als sie nutzen. Da Empathie und Mitarbeiterzufriedenheit in einem engen Zusammenhang stehen, wirkt es kontraproduktiv, wenn die Mitarbeiter das Gefühl haben, das Thema sei nur ein „Feigenblatt“, damit man etwas vorzuweisen hat. Empathisches Verhalten muss zentraler Bestandteil der Unternehmenskultur sein und stellt wichtige Fragen in Bezug auf das Selbstverständnis des Unternehmens und die Glaubwürdigkeit seiner Unternehmenskultur.

     

    Referenz:

    Everhart, Robin et. Al. (2016). Empathy activators: Teaching Tools for Enhancing Empathy Development in Service-Learning Classes. Virginia Commonwealth University and University of Richmond, Richmond, VA.

    Aus: Virginia Commonwealth University, Scholars Compass, Division of Community Engagement Resources:

    https://www.scholarscompass.vcu.edu/community_resources/

    Quelle:

    Oxford Review (Oxcognita LLC) für Five Elements Consulting & Training GmbH, 2021