Selbstzweifel – Der Feind in meinem Kopf

Selbstzweifel – Der Feind in meinem Kopf

 

Jeder Mensch – ja, auch Sie – hat Schwächen, die immer wieder schmerzen. Diese wunden Punkte sind mit Erfahrungen verbunden, die so unangenehm für uns gewesen sind, dass wir sie verdrängt haben.

In den nächsten Beiträgen will ich diese Schwächen etwas genauer beleuchten, weil sie mir in meinen Coachings immer wieder begegnen. In den allermeisten Fällen handelt es sich um eines der folgenden Themen, die im Alltag zu Problemen führen. Ich nennen sie die „5 Feinde in meinem Kopf“.

5 Feinde in meinem Kopf

  1. Die Sucht nach Zustimmung
  2. Mangelndes Selbstvertrauen
  3. Impulsivität und Über-Emotionalität
  4. Kontrollzwang
  5. Übersteigertes Selbstbewusstsein

Sucht nach Zustimmung: Der Fall „Claudia“

Da saß mir eine erfolgreiche Managerin gegenüber, die immer ihr Bestes gegeben hatte. Spitzen-Abitur, Prädikatsexamen, Auslandsaufenthalte, Mehrsprachigkeit, gebildet, intelligent und schlagfertig, attraktiv und mit eigenem Stil: Eine Person, die die Aufmerksamkeit auf sich zieht, wenn sie einen Raum betritt.

 

Vor mir saß aber auch eine getriebene Person, die unter Schlaflosigkeit litt, große Bindungs- und Beziehungsprobleme hatte, zutiefst erschöpft war, sich überfordert fühlte und hinter jeder Ecke einen Feind vermutete. Das konnte – wie sie mir erzählte – schon mal zu emotionalen Auseinandersetzungen im Team und zu Wutausbrüchen führen.

 

Auch deshalb hatten in den vergangenen Monaten einige wichtige Player ihr Team verlassen. Das ehemalige Spitzen-Team war Vergangenheit, der Druck von außen wurde immer größer.

 

Auffällig war, dass meine Klientin in der Schilderung ihrer Situation das Private sehr stark von der „geschäftlichen Person“ abgrenzte. Ihr persönliches Gefühl der Erschöpfung und die schwierige Situation im Team spielten sich für sie auf zwei vollkommen unabhängigen Ebenen ab.

 

Sie wisse ja, dass sie sich für Privates aufgrund ihres großen Engagements zu wenig Zeit genommen habe. In der Vergangenheit habe sie Beziehungen mit Partnern gehabt, die selbst äusserst erfolgreich gewesen waren. Da leide das Privatleben unter überfüllten Kalendern und manchmal auch unter gegenseitigem Wettbewerb. Ein wenig Ruhe werde sicher helfen, auch ihre Müdigkeit in den Griff zu bekommen.

 

Im Team ginge es ihrer Ansicht nach um etwas anderes: Die Leistung des Teams sei durch die Karriere-Entscheidung einiger guter Mitarbeiter nach unten gegangen. Sie müsse daher nun – zusätzlich zu ihren eigenen Themen – viel mehr selber machen. Sie tue zwar alles, um ihre Mitarbeiter zu entlasten, die Motivation sei aber trotzdem in den vergangenen Wochen massiv eingebrochen. Regelmässig liesse sie Stimmungsbilder machen und würde immer das Team einbinden, bevor sie wichtige Entscheidungen treffe. Mittlerweile sei sie aber ratlos, was sie noch tun könne.

 

Die Gesamtschau führt zur Lösung

Jeder Mensch hat ein Repertoire an Dingen, die eher leichtfallen und anderen, die eher schwerfallen. Unsere individuellen Stärken, Neigungen und Schwächen beeinflussen unser Verhalten in jeder Situation. Wir vermeiden oder schieben vor uns her, was uns eher schwerfällt und erledigen sofort, was uns leicht fällt.

 

Unsere Arbeitskultur hat uns beigebracht, unser Leben zweigeteilt zu führen: Da gibt es das Private mit Freunden, Familie und Hobby und draussen vor der Tür findet das Berufliche statt. Wie oft habe ich schon den Satz gehört: „Privat bin ich aber ganz anders!“

 

Auch wenn die letzten Monate dafür gesorgt haben, dass sich die Grenze zwischen Beruf und Privat etwas verwischt hat: in unseren Köpfen ist sie noch da. In vielen Fällen ist es aber erforderlich, wieder ein ganzheitliches Verständnis für sich selbst zu entwickeln, wenn wir unseren Problemen auf die Spur kommen wollen.

 

Noch vor 150 Jahren gab es die Trennung zwischen Beruf und Privatleben nicht. Der überwiegende Teil der Bevölkerung lebte dort, wo die Arbeit war und arbeitete dort, wo man lebte. Erst die industrielle Revolution sorgte dafür, dass es so etwas gab wie feste Arbeitszeiten und Arbeitsorte, zu denen man morgens aufbrach und von denen man abends heimkehrte. Auf dem Bauernhof im Sauerland oder in der Wassermühle im Wald war das nicht erforderlich. Der Tag begann mit dem Sonnenaufgang und endete mit Einbruch der Dunkelheit. Gearbeitet wurde im eigenen Tempo, so wie die eigenen Kraft es zuliess. Mittagspause von 12:00 – 12:30 Uhr? Unbekannt. Gegessen wurde, wenn der Hunger kam und die Kraft nachliess.

 

Auch wir müssen ein Verständnis dafür entwickeln, dass wir EIN Leben führen und nicht zwei, die quasi parallel nebeneinander verlaufen. Das Private prägt uns in der Arbeit und umgekehrt.

 

Bei meiner Klientin „Claudia“ stellte sich heraus, dass es ihre Prägung in der Erziehung war, die ihr zur Falle wurde. Sie fühlte sich häufig unverstanden und hatte das Gefühl, dass niemand ihre wahren Qualitäten erkennen würde. Ihren Beziehungen endeten meistens, weil ihr Partner sie verlassen hatte, sei es aus beruflichen Gründen oder für eine andere Person. Woran sie verzweifelte war das Gefühl, was sie auch tue, es sei immer zu wenig. Es gab immer eine Stimme, die flüsterte: „Das reicht nicht. Du enttäuscht mich.“

 

Die Sucht nach Zustimmung

„Claudia“ war in einem Umfeld aufgewachsen, in dem sie von Aussagen begleitet worden war wie: „Was sollen die Leute von Dir denken?“, „Da hätte ich von Dir nicht gedacht.“ oder „Damit kannst Du die Mama nicht auch noch belasten.“

 

Menschen mit diesen Erfahrungen haben in ihrer Jugend gelernt, dass sie nur dann ein nützliches Mitglied der Gesellschaft sind, wenn sie von anderen gemocht werden und wenn sie versuchen, es allen recht zu machen. Beliebtheit und Anpassung sind die Dinge die zählen.

 

Die eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Sorgen sind dadurch selbstverständlich weniger wichtig als die Stimmungen der Menschen im direkten Umfeld. „Um des lieben Friedens willen“ werden Ideen und Vorstellungen nicht weiter verfolgt, wenn sie zu Konflikten führen könnten. Diese Menschen sind immer freundlich und hilfsbereit. Sie beklagen sich nie und nehmen es auch nicht krumm, wenn sie nachts um 3:00 Uhr angerufen werden, um sich den Liebeskummer der Freundin anzuhören oder den Kumpel aus der Kneipe abzuholen. Auf sie ist Verlass. Immer.

 

Ihr tiefes Bedürfnis nach Zuneigung lässt sie alles dafür tun, ein Bild des Erfolgs und der Unabhängigkeit zu präsentieren. Um sie muß man sich keine Sorgen machen. Die Frisur sitzt perfekt, die Kleidung ist geschmackvoll und zurückhaltend, die Fassade ist perfekt. Alles supie!

 

Im Alltag versuchte meine Klientin daher immer, genau abzuschätzen, welche Folgen ihre Entscheidung haben werde. Wer konnte davon negativ betroffen sein? Wo wären Konflikte denkbar? Würde sie die Erwartungen erfüllen? Und was wäre wenn……

 

Wir alle wissen: Es ist nicht möglich, alle Folgen einer einzigen Handlung im Voraus abzusehen. Trotzdem investierte sie Stunden um Stunden in die Entscheidungsfindung. Sie sprach mit diesem und jenem, fragte nach Meinungen und Eindrücken, diskutierte Alternativen im Team und verzögerte die Entscheidung so lange, bis sie das Gefühl hatte: diese Lösung ist perfekt und alle sind einverstanden.

 

Trotz dieser Vorgehensweise entwickelte sie aber für sich kein Gefühl der inneren Sicherheit, denn etwas Wichtiges fehlte: Sie hatte keine eigene Überzeugung, die ihr sagte, was „richtig“ sei.

 

Nur wenn wir in der Lage sind, für uns selbst ein unabhängiges Urteil zu fällen, können wir eine Entscheidung treffen und sie dann auch durchsetzen. Auch wenn es schwerfällt: irgendwann müssen wir einem Standpunkt den Vorzug geben und das Risiko eingehen, eventuell einen Fehler zu machen.

 

Für ihr Team war die Zusammenarbeit daher zunehmend schwierig. Wenn Entscheidungen getroffen wurden, war keine einheitliche Linie zu erkennen. Je nach Stimmung wiesen sie in die eine oder andere Richtung. Eine Orientierung für das Team fehlte, die endlosen Diskussionen im Team und das nachträgliche Anzweifeln bereits getroffener Entscheidungen wirkten lähmend. Nichts ging voran.

 

Deshalb gingen die stärkeren Charaktere im Team dazu über, „Claudia“ unter Druck zu setzen und Entscheidungen zu erzwingen. Wenn dies nicht gelang schafften sie selber Tatsachen. Das sorgte im Team für zusätzliche Konflikte. Der Vorwurf der Entscheidungsschwäche, der im Raum stand, verunsicherte meine Klientin noch stärker. Sie reagierte darauf, wie bei einem Liebesentzug, mit sehr emotionalen Ausbrüchen.

 

Meine Handlungsempfehlung

Zunächst war es ein Aha-Erlebnis für meine Klientin, die private und berufliche Situation im Zusammenhang zu sehen. Wir konzentrierten uns zunächst darauf, die Symptome genau zu betrachten: die persönlichen Beziehungsprobleme, die negative Stimmung im Team, die emotionalen Streitereien, das permanente Gefühl der Überforderung, die Müdigkeit, der überfüllte Kalender etc.

Dabei waren wir sehr darum bemüht, nicht zu (be)werten, sondern die Puzzle-Stücke nebeneinander zu legen und nach Gemeinsamkeiten zu suchen. Durch die Einbeziehung ihrer persönlichen Geschichte wurden dann Schritt für Schritt Zusammenhänge erkennbar. Der größte Antreiber, auch die größte Angst, war es, nicht zu genügen. Die größte Überzeugung war daher: Ich bin nur wert, geliebt zu werden, wenn ich es allen recht mache. Die größte Hürde: Nur wenn ich keine Fehler mache und niemandem vor den Kopf stoße bin ich erfolgreich. Meine eigenen Bedürfnisse spielen keine Rolle.

Diese Denkmuster sorgten dafür, dass meine Klientin sich in einer permanenten Überforderungssituation befand. Ihre gesamte Energie verwendete sie darauf, ein perfektes Bild abzugeben und das zu sein, was die Welt in ihr sehen sollte: die perfekte Managerin, jung, ehrgeizig, charmant und erfolgreich.

Aber mit der Überforderung kamen auch die Selbstzweifel. Je mehr sie spürte, wieviel Kraft es sie kostete dieses Bild aufrecht zu erhalten, umso größer wurden die Ängste: Würde sie genügen können? Oder hatte sie bisher nur Glück gehabt?

Unsere weitere Vorgehensweise war daher:

    • Wir entwickelten eine Liste ihrer bisherigen Erfolge, wobei wir den Begriff „Erfolg“ nicht auf Berufliches beschränkten. Alles, was für „Claudia“ ein Erfolg gewesen war kam auf die Liste, angefangen beim Schulabschluss über den Führerschein, das erste eigene Apartment, der erste Job usw. usw. Es wurde eine sehr lange Liste.

    • Im nächsten Schritt entwickelten wir gemeinsam die jeweils besten und schlimmsten Szenarien, die sie sich vorstellen konnte. Im Kern standen die Fragen: „Wird es mich umbringen, wenn das und das passiert?“ und „Werde ich erst glücklich sein können, wenn das und das eintritt?“

    • Drittens analysierten wir gemeinsam, welche Werte für sie die größte Bedeutung hatten. Was war ihr wirklich wichtig? Welche fünf Werte sollten zukünftig als eiserne Grundlage dienen, wenn sie Entscheidungen treffen musste?

    • Ich empfahl ihr, immer dann wenn sie spürte, dass sich die Selbstzweifel meldeten und sie das Gefühl bekam, nicht gemocht zu werden, die Liste ihrer bisherigen Erfolge durchzugehen, zu aktualisieren und zu ergänzen.
    • Als Teil ihres Morgenrituals entwickelten wir ein Mantra, das ihr helfen sollte, ihre persönlichen 5 eisernen Werte zu verinnerlichen und ihre innere Stimme zu stärken.
  Am Spiegel im Flur befestigte meine Klientin einen Zettel, auf dem Folgendes stand:

Dass Du heute hier stehst ist kein Zufall!

Du stehst hier, weil Du es Dir verdient hast.

Sei doch nicht so kleinkariert!

„Jetzt sei doch nicht so kleinkariert!“

 

Über die Grenzen der Toleranz und das Verständnis füreinander

In meinen Gesprächen mit noch unerfahrenen Führungskräften gibt es ein „Evergreen-Thema“, über das wir uns früher oder später unterhalten. Meist gibt es einen konkreten Anlass: sie sind mit einzelnen Mitarbeitern oder mit einem Team in eine Streitgespräch geraten und haben aus ihrer eigenen Sicht falsch gehandelt haben: Entweder beklagen sie, dass sie sich nicht durchgesetzt haben oder, dass sie überreagiert haben.

Inhaltlich sind es häufig kleine, unbedeutende Anlässe, hinter denen aber größere Themen wie das eigene Selbstverständnis als Führungkraft oder grundsätzliche Regeln der Zusammenarbeit stehen. Und immer wenn es diese Ver-(Mischung) gibt, wird die Sache kompliziert.

 

Ein typisches Beispiel

Herr X ist als Spezialist für eine bestimmte Software-Anwendung der gesetzte Ansprechpartner für alle Fragen der Planung und Anwendungsentwicklung in diesem Bereich. Schon seit einigen Monaten mehren sich aber die Stimmen im Team, die sich über seine ständige Unpünktlichkeit beschweren. Egal, ob er vom Home Office aus an den Sprint-Meetings teilnimmt oder im Büro anwesend ist: Das gesamte Team wartet jedesmal mindestens 15 Minuten auf ihn, muss die Agenda umplanen und andere Themen vorziehen. Einige Kollegen, die nur an seinem Projekt beteiligt sind, verlieren wertvolle Zeit und es ist jedesmal das Gleiche: Er ist unvorbereitet, steht nicht im Thema und vertröstet bei vielen Fragen auf eine Mail im Anschluß an das Meeting.

Für seine junge Teamleiterin Frau Z ist der Umgang mit dieser Situation schwierig: Sie weiß, dass Herr X alleinerziehender Vater von zwei jüngeren Kindern ist und ausserhalb wohnt. Als Fachkraft ist er nicht ohne weiteres ersetzbar.

Zu dem Online-Meeting, das sie angesetzt hat, um über die Situation zu sprechen, verspätet sich Herr X um 10 Minuten. Es sei etwas gewesen mit den Kindern lautet seine halbherzige Erklärung. Eine Entschuldigung kommt nicht und das Gespräch nimmt einen konfrontativen Verlauf, in dem Herr X seiner Teamleiterin unter anderem vorwirft, sie sei nur an ihrer Karriere interessiert und „total intolerant“. Sie müsse doch wohl Verständnis für seine Situation aufbringen, auch wenn sie selbst keine Kinder habe.

Für Frau Z ist das ein Problem: Einerseits hält sie sich selbst für einen sehr toleranten Menschen, der viel Verständnis für die Einstellungen und Probleme Anderer aufbringt. Andererseits treibt sie die Sorge um, nicht konsequent zu handeln und manipuliert zu werden, wenn sie zu nachgiebig ist.

Wo liegt der gesunde Mittelweg zwischen Toleranz und Konsequenz?

Klare Begriffe und ein Lernprozess!

Besonders für unerfahrene Führungskräfte besteht die Gefahr, sich durch unterschwellige Vorwürfe unter Druck setzen zu lassen. Niemand will der intolerante spiessige Vorgesetzte sein, der kleinkariert nach Regelverstössen sucht und auf „Chef“ macht. Aber wieviel Toleranz ist gut und wieviel Konsequenz muss sein?

Räumen wir zunächst mit einem Missverständnis auf: Toleranz und Konsequenz sind zwei vollkommen unabhängige Begriffe. Wenn jemand als Führungskraft nicht konsequent handelt, muss er nicht unbedingt tolerant sein. Und wenn jemand intolerant ist, muss er nicht automatisch auch konsequent sein.

Genauso gilt: Nur weil jemand konsequent handelt, muss er nicht intolerant sein. und nur weil jemand tolerant ist, muss er nicht jedes Verhalten automatisch akzeptieren.
Daher ist es wichtig zu verstehen: Wenn ich für etwas „Verständnis habe“, so ist das nicht gleichzusetzen mit „Ich akzeptiere Dein Verhalten.“, auch wenn das im Alltag häufig gleichgesetzt wird.

Ich kann zum Beispiel als Richter dafür Verständnis haben, dass jemand aus großer Verzweiflung ein Gewaltdelikt begeht. Das ist sogar für eine angemessene Urteilsfindung eine Voraussetzung. Es bedeutet allerdings nicht, dass ich es aufgrund meines Verständnisses für akzeptabel hielte, Gewaltdelikte zu begehen. Die Tat selbst bleibt inakzeptabel, auch wenn ich verstehe, wie es zu ihr kommen konnte.

Was können wir also Frau Z. raten?

Wenn sie auf die Einhaltung bestimmter Grundregeln in der Zusammenarbeit besteht, hat das nichts mit ihrem Toleranz-Niveau als Führungskraft zu tun. Ihr Verständnis für die besondere Situation von Herrn X. darf nicht dazu führen, dass er besondere Vorzüge geniessen kann, die für den Rest des Teams nicht gelten.

Frau Z. sollte ansprechen, dass sie die besonderen Herausforderungen versteht, die Herr X. als alleinerziehender Vater bewältigen muss. Sie muss aber erklären, wo ihre Grenzen des Verständnisses – und die des Teams – liegen und wann diese überschritten sind. Herr X. muss verstehen, dass jede Überschreitung dieser Toleranzgrenzen eine Intervention nach sich zieht.

 

 

Mein Führungs-Tipp:

Immer wenn Mitarbeiter durch ihr Verhalten immer wieder eine klar kommunizierte Toleranzgrenze überschreiten, müssen wir als Führungskräfte reagieren. Dabei spielt die „Schwere des Verstosses“ nur eine untergeordnete Rolle. Um ein Bild zu bemühen: Auch wenn ich regelmässig „nur“ 40 km/h in der 30er-Zone gefahren bin, hat das Konsequenzen.

Das Argument, „das sei doch zu viel unnötiger Stress“, ist eine Ausrede und entweder ein Zeichen von Faulheit oder Ausdruck der eigenen Angst vor Konfliktgesprächen. Wem es zu anstrengend ist, geltende Regeln durchzusetzen, sollte Moderator werden. Als Führungskraft erfüllt er so seinen Job nicht.

Der Vorwurf der Intoleranz ist ein Versuch, uns zu manipulieren. In vielen Fällen werden die Grenzen bewusst überschritten, weil ausgetestet werden soll, wie weit man gehen kann, bevor es Konsequenzen gibt. Und in diesem Fällen geht es nicht mehr um das Thema an sich, z.B. Pünktlichkeit, sondern um die Wahrung der eigenen Autorität und den Schutz vor zukünftigen Manipulationen.

Wir sollten daher in uns hineinhören: wie weit geht unser Mitgefühl und ab wann entwickeln wir ein „komisches Bauchgefühl“, dass wir gerade manipuliert werden? Dieses komische Gefühl ist ein klarer Hinweis darauf, dass unsere Toleranzgrenze gerade getestet wird. Und das ist nicht akzeptabel.

Wenn wir Verständnis zeigen, aber gleichzeitig konqsequent nach geltenden Regeln handeln, bleiben wir in den Augen der Mitarbeiter menschlich, verlässlich und konsequent.

Das ist sooo ungerecht!

„Das ist sooo ungerecht!“

 

Warum Gerechtigkeit und Fairness nicht das Gleiche sind und wie man mit dem Vorwurf der Ungerechtigkeit als Führungskraft umgeht:

Wer kennt es nicht: die Diskussionen mit den eigenen Kindern über ein neues Mobiltelefon, die Erlaubnis, zu einer Party zu gehen oder die 20 Euro Extra-Taschengeld? Früher oder später kommt es zu dieser denkwürdigen Anklage: „Das ist so ungerecht! Aline und Mona dürfen auch auf die Party und die müssen nicht schon wieder um 23:00 Uhr zu Hause sein!“ oder „Ich finde das total fies von Dir, alle anderen in meiner Klasse haben schon das 12er iPhone. Nur ich nicht! Die glauben alle, dass wir total arm sind. Das finde ich so ungerecht!“

Auch wenn wir diese Argumentationstaktik schon so häufig erlebt haben und kindisch finden: Auch im beruflichen Umfeld werden wir immer wieder damit konfrontiert. „Dass die Svenja jetzt eine Gehaltserhöhung bekommen hat, ist ja in Ordnung. Aber wir machen ja die gleiche Arbeit, da habe ich ja auch ein Recht auf mehr Geld. Sonst ist das ja total ungerecht!“ Oder: „Wenn der Chris jetzt Freitags Home Office machen darf, dann will ich das auch! Sonst ist das echt total ungerecht!“

Und besonders zu Wahlkampfzeiten scheint es allen Parteien nur um eines zu gehen: Gerechtigkeit! Es werden gerechtere Löhne, eine gerechtere Wohnungsbaupolitik und ein gerechtes Rentensystem gefordert! Jugendliche benötigen gerechtere Bildungschancen, Frauen gerechtere Aufstiegschancen und Pflegekräfte eine gerechtere Bezahlung.

Gerechtigkeit ist ein missbrauchter Begriff.

Wenn wir darüber einen Moment nachdenken, stellen wir fest, dass „Gerechtigkeit“ ein völlig abstrakter Begriff ist, der für uns immer unerfüllbar bleiben muss. Denn bei diesem Begriff muss man immer mitdenken: „gerecht im Vergleich zu…?“

Gerechtigkeit wird gerne verwechselt mit dem Begriff der „Fairness“, ist aber kein Synonym dafür. Bei Fairness geht es um einen ausgleichenden und wertschätzenden Umgang mit meinem Gegenüber. Gerechtigkeit appelliert stattdessen an eine höhere Instanz. Gerechtigkeit spricht von Moral. Fairness spricht von Ausgleich.

Trotzdem ist Gerechtigkeit ein wichtiger Begriff, denn unser Umgang miteinander sollte darum bemüht sein, unseren Mitmenschen und uns selbst Teilhabe zu ermöglichen. Gerechtigkeit fordert uns auf, unser Gegenüber und seine Bedürfnisse wahrzunehmen und zu akzeptieren. Zur Vermeidung von Konflikten und für ein harmonisches Zusammenleben hilft es, wenn wir versuchen, einen Interessenausgleich, also eine „relative“ Gerechtigkeit herzustellen.

Vorsicht ist aber insbesonder dann geboten, wenn Gerechtigkeit als „Kampfbegriff“ Verwendung findet.

 

Die moralische Keule!

Immer, wenn Menschen beklagen, dass sie selbst ungerecht behandelt worden seien und dass unsere Gesellschaft unter einem Mangel an Gerechtigkeit leide, treffen sie eine stillschweigende Annahme zu ihrem eigenen Vorteil: Sie unterstellen, es gäbe eine „absolute“ Gerechtigkeit. Vor dieser „absoluten“ Gerechtigkeit und ihren (verborgenen) Kriterien konstruieren sich die Klagenden in die Rolle des Opfers, das unter den aktuell „ungerechten“ Zuständen leiden muss.

Alternativ treten sie auch für andere „Opfer“ ein und fordern die „Solidarisierung“ aller nicht Betroffenen, um „der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen“ oder „diese himmelschreiende Ungerechtigkeit endlich zu beenden.“

Merke: Menschen, die sich selbst ungerecht behandelt fühlen, tun nichts anderes als für sich selbst einzufordern, dass ihnen persönlich mehr zusteht als sie bisher bekommen haben. Und Schuld daran tragen andere!

Diese Menschen nehmen für sich in Anspruch, für Gerechtigkeit einzutreten und zu wissen, was denn als „absolut gerecht“ angesehen werden soll und was nicht. Sie unterstellen darüber hinaus, dass es für die erlittene Ungerechtigkeit einen oder mehrere Verantwortliche gibt und dass diese unethisch gehandelt haben. Mit anderen Worten: Jemand (der Chef, der Vater, die Partnerin, die Kollegin etc.) oder „etwas“ (die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Immobilienhaie etc.) tragen die Schuld für ihr Leiden und das Leiden aller anderen Betroffenen. Weil sie weniger bekommen haben, als ihnen nach ihrer eigenen Einschätzung zustünde.

Damit wird der durchsichtige – aber häufig wirkungsvolle – Versuch unternommen, das Gegenüber in eine moralisch fragwürdige und unterlegene Position zu drängen und Druck auszuüben. Sei es direkt und persönlich im Gespräch oder – wie bei politischen Parteien und Interessengruppen aller Art – indirekt durch entsprechende Forderungen und Propaganda.

Vorsicht ist also geboten, wenn eine Gruppe den „Umbau für eine gerechtere Gesellschaft“ oder ähnliches fordert: hier sind die Ideologen unterwegs, die glauben zu wissen, was gut und gerecht für alle ist. Meistens ist es das, was ihnen selbst nützt, zum Beispiel in Form von Macht und Einfluss, Geld oder öffentliche Aufmerksamkeit. Oder alles zusammen.

 

 

Mein Führungs-Tipp:

Es ist für uns als Führungskräfte und als Unternehmen weder sinnvoll noch plausibel, unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Potenzialen in unterschiedlichen Rollen und mit unterschiedlichen Erfahrungen immer gleich zu behandeln, nur um als „gerecht“ zu gelten.

Wenn wir mit unseren Kunden, Kollegen, Mitarbeitern und externen Partnern nach den Geboten der Fairness zusammenarbeiten und wenn wir glaubhaft positiven Unternehmenswerten folgen, entfällt jeder Grund für Gerechtigkeitsdiskussionen.

Wenn Mitarbeiter versuchen, mit der Forderung nach „mehr Gerechtigkeit“ zu polarisieren, versuchen sie zu manipulieren. Diesen Mitarbeitern – „Aktivisten“ in eigener Sache – sollte klargemacht werden, worum es bei diesem Spiel wirklich geht: um ihre Machtanmaßung und den Aufbau von moralischem Druck, um einen unfairen Vorteil für sich selbst oder eine bestimmte „Opfergruppe“ zu ergattern.

Als Führungskraft sollten wir uns darum bemühen, diese Spiele so klar wie möglich zu addressieren und so schnell wie möglich zu unterbinden. Denn leider kann man mit nichts anderem so leicht Menschen hinter sich scharen wie mit den Begriffen von Gerechtigkeit, Ungerechtigkeit und Schuld.

Wer an die Existenz einer absoluten Gerechtigkeit glaubt hat Hoffnung. Wer aber glaubt zu wissen, was die absolute Gerechtigkeit genau ist und was nicht, leidet unter Hybris. Denn das Herstellen von absoluter Gerechtigkeit ist nur der göttlichen Allmacht vorbehalten. Und das ist gut so.

Da bin ich jetzt aber enttäuscht

„Da bin ich jetzt aber enttäuscht!“

 

Immer wieder erleben wir Situationen, in denen uns der eigene Bauch sagt, dass irgendetwas nicht ganz in Ordnung ist. Die Reaktionen des Kollegen oder der Kollegin verunsichern uns. Auf Nachfrage kommt dann ein Satz wie: „Nein, ist schon ok. Mach Dir um mich keine Gedanken.“

Wenn man sich damit nicht zufrieden gibt, kommen nach dreimaligem Nachfragen dann plötzlich Aussagen wie: „Das hätte ich jetzt aber nicht erwartet! Da bin ich aber enttäuscht von Dir gewesen.“

Schauen wir uns mal genauer an, was es mit der Enttäuschung auf sich hat:

Kürzlich traf ich einen Freund, den ich Corona-bedingt längere Zeit nicht gesehen hatte. Wir tauschten Neuigkeiten aus und kamen auch auf seine berufliche Situation zu sprechen. Er teilte mir mit, dass er vorhabe, die Firma zu verlassen, in der er seit mehr als 10 Jahren beschäftigt gewesen war. „Mein Chef hat mich jetzt schon so häufig enttäuscht, dass ich mir lieber was Neues suche!“, so seine Begründung für den Wechsel.

Auf meine Nachfrage hin erzählte er mir, dass er sich in den vergangenen Monaten sehr für ein bestimmtes Projekt engagiert hatte. Eine neue Plattform-Lösung sollte eingeführt werden und ein neu aufzustellendes Team danach die Plattform betreiben und weiterentwickeln. Für meinen Freund ein Thema, das genau in sein Kompetenzprofil passte und eine Chance zur Weiterentwicklung.

Ich hakte nach, warum er – trotz erfolgreicher Implementierung – ausgerechnet jetzt das Unternehmen verlassen wollte. Seine Begründung: „Obwohl es immer klar war, dass ich die Teamleitung übernehme, hat mein Chef mich im Regen stehen lassen und einen Externen auf die Stelle gesetzt. Ich bin so enttäuscht von ihm! Und die Zusammenarbeit ist unter diesen Umständen natürlich sehr schwierig geworden.“

In seiner Erzählung fiel mir auf, dass während des Einführungsprojektes scheinbar nie über die zukünftigen Rollen gesprochen worden war. „Da hatten wir ja alle Hände voll mit der Technik zu tun. Da war für sowas keine Zeit. Aber es war ja eh alles klar.“ War es das wirklich?

30 Minuten später hatte ich verstanden: Es hatte nie konkrete Verabredungen zur Rollenverteilung im zukünftigen Team gegeben. Mein Freund hatte sein Interesse an der Teamleiter-Stelle zwar mehrfach „durch die Blume“ geäussert, eine eindeutige Zusage war von seinem Chef aber nie geäussert worden. Und dass er sich auch bei der HR-Abteilung nicht auf die interne Stellenausschreibung gemeldet hatte – „Das war doch nur eine Formsache.“ – hatte ebenfalls nicht geholfen.

 

Ent-Täuschung ist das Ende einer Täuschung.

Leider unterliegen wir Menschen – so auch mein Freund – ständig irgendwelchen Täuschungen. Wir stellen immer wieder fest, dass die Wirklichkeit ganz anders funktioniert, als wir erwartet hätten. Unser Gegenüber verhält sich anders als gedacht, die Lieferung kommt später als erwartet, die Rechnung wird später gezahlt als vereinbart. Jedes Mal, wenn das passiert, haben uns unsere Erwartungen getäuscht. Wir haben uns einer Täuschung hingegeben und lernen nun, vielleicht schmerzlich, wo wir uns etwas „vorgestellt“ haben.

Insbesondere wenn wir mit anderen Menschen etwas vereinbaren, z.B. eine bestimmte Leistung, erwarten wir nicht nur die Erfüllung der Vereinbarung, sondern mehr. Auch wenn es nicht ausdrücklich angesprochen wurde, gehen wir selbstverständlich davon aus, dass der Handwerker weiß was er tut und nach den „Regeln der Kunst“ arbeitet. Wir erwarten auch, dass unser Gegenüber die gleiche Vorstellung davon hat, wie etwas im Ergebnis aussehen soll. Und wir wollen auch, dass die Abrechnung korrekt, der Inhalt einer Nachricht zutreffend und der Vertragspartner ehrlich mit uns ist.

Alle diese Erwartungen stehen unausgesprochen im Raum. Tut jemand dann etwas anderes als erwartet, sind wir bereit, dass Versehen zu entschuldigen, wenn wir vorher gute Erfahrungen gemacht haben. Waren wir aber bereits vorher kritisch eingestellt, ist das gleiche Versehen unverzeihlich und wird als Begründung für unsere Verletztheit herangezogen. „Ich habe ja gleich gesagt: Auf den kann man sich nicht verlassen!“

 

Dramatisieren hilft nicht!

Nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, hilft es wenig, der Ent-Täuschung zuviel Raum zu geben. Jede Dramatisierung erfüllt nämlich eigentlich nur den Zweck, dass wir uns von unserer eigenen Verantwortung entlasten können. Und das ist der einzige Zweck.

Wären wir ehrlich mit uns selbst, müssten wir anerkennen, dass wir ebenfalls nicht dazu beigetragen haben, für Klarheit zu sorgen. Dahin ging auch der Rat an den Freund: „Bevor Du kündigst, solltest Du bei Deinem Chef klar ansprechen, was genau Dich in seinem Verhalten enttäuscht hat und wo er Deiner Ansicht nach eine Vereinbarung nicht eingehalten hat. Ihr könnt nur gemeinsam herausfinden, ob das absichtlich geschehen ist und wo die Erwartungen des jeweils Anderen nicht erfüllt worden sind.“

Mein Führungs-Tipp:

Als Führungskraft muss ich mir darüber klar werden, wie ich mit Ent-Täuschungen umgehe. Wenn ich nicht will, dass eine Situation wegen enttäuschter Erwartungen eskaliert, muss ich selbst für eine Ent-Dramatisierung sorgen.

Habe ich ausreichend klar gemacht, was ich erwarte? Weiß ich zweifelsfrei, was mein Gegenüber von mir erwartet? Gab es Lücken in der Kommunikation, die für eine Ent-Täuschung gesorgt haben, z.B. eine unbekannte Absprache mit jemand anderem, ein Dokument, das nicht bekannt war, etc.?

Und was genau hat eigentlich die Ent-Täuschung ausgemacht? War es das Gefühl, nicht wahrgenommen zu werden? Gab es ein Missverständnis? Oder wurde (von Ihnen oder Ihrem Gegenüber) zu viel hinein interpretiert? Hatte Ihr Gesprächspartner das Gefühl, bewusst getäuscht worden zu sein? Und warum ist diese Sichtweise entstanden? Wie haben Sie zu diesem Gefühl – unbewusst – beigetragen?

Je klarer ich weiß, wie ich mit Enttäuschungen umgehe und je besser es mir gelingt, die Fakten und Abläufe von der emotionalen Seite zu trennen, umso leichter kann ich bewirken, dass nichts unnötig dramatisert wird. Entdramatiserung kann nur der erreichen, der selbst nicht dramatisiert. Denn es gilt immer noch: „It´s not a personal thing!“

Denkblockaden – Konfrontation und die Angst vor Ablehnung

Denkblockaden:  Konflikte und die Angst vor Ablehnung!

 

Es gibt Begriffe, die gerade bei jüngeren Führungskräften instinktiv Abwehr erzeugen, Themen, die fast als Tabu aufgefasst werden. In der Reihe „Denkblockaden“ spüren wir diese Begriffe auf und setzen sie in einen hilfreichen Zusammenhang.

In einem Beitrag im Mai bin ich bereits auf das Thema „Konflikte“ eingegangen, dort ging es um die Angst vor der Konfrontation. In diesem 2. Teil will ich auf die Angst vor Ablehnung eingehen, die vielen Führungskräften Sorgen macht.

Eine Situation wie die folgende habe ich in den vergangenen 25 Jahren sehr häufig erlebt: Der neue Teamleiter X erläutert dem sehr erfahrenen Mitarbeiter Y, dass er für ein bestimmtes Problem eine andere Herangehensweise wünscht, als es bisher üblich gewesen ist. Mitarbeiter Y unterbricht ihn und weist darauf hin, dass dieses Vorgehen nicht funktionieren wird. Teamleiter X wird unsicher und fordert umso vehementer, dass die neue Methode angewendet werden soll. Y argumentiert dagegen, Teamleiter X fühlt sich provoziert, die Situation endet im Streit. Klingt das bekannt?

Wenn es zu einem Konflikt kommt, entsteht bei den Beteiligten häufig der Eindruck, der Gesprächspartner auf der anderen Seite des Tisches habe ein vollkommen anderes Weltbild als man selbst. Anscheinend sind die gegensätzlichen Standpunkte miteinander unvereinbar. Was ja – wie im Beispiel – kein Wunder sei, weil einerseits „der junge Schnösel noch grün hinter den Ohren ist und keine Ahnung hat“, während andererseits „der alte Sack sowieso nichts verändern will, weil er nur die Rente im Blick hat und mich als Manager gar nicht akzeptiert“. Klingt ganz schön verfahren, finde ich!

Aber woran liegt es, dass sich so häufig diese „unüberbrückbaren Hindernisse“ auftun? Aus meiner Erfahrung handelt es sich dabei häufig um „Schein-Konflikte“. Sie werden umso größer und ernster, je länger man sie unbearbeitet lässt und ihnen aus dem Wege geht. Denn ihr Entstehen beruht darauf, dass beide Konfliktparteien gar nicht darüber nachdenken, ob die Möglichkeit existiert, trotz aller Unterschiede zu einem gemeinsamen Ergebnis, einer „Fusion beider Standpunkte“, zu kommen.

Unser Ziel sollte es doch sein, unsere Lebensenergie für kreative Ideen einzusetzen, statt uns auf Kämpfe und Überwindung des Gegners zu konzentrieren. Warum fällt uns das so schwer? 

 

Wer sich stark macht hat verloren.

Wenn innerlich der Puls hochjagt, weil mir jemand über den Weg läuft, mit dem ich noch einen Konflikt offen habe, fällt es mir sehr schwer, gelassen zu bleiben. Da ist dieses nagende Gefühl: „Mit Dir habe ich noch eine Rechnung offen.“ oder „Was hat sich die Kollegin jetzt wieder ausgedacht, um mich auf die Palme zu bringen?“.

Je häufiger ich mit jemandem aneinander gerate, umso schwerer fällt es mir, dieser Person unvoreingenommen zu begegnen. Ich kann dann nur schwer neutral sein, jedenfalls solange ich mir nicht Klarheit über meine eigenen Emotionen und mein bisheriges Verhalten verschafft habe. Denn genau da beginnt die Veränderung: Bei meinen eigenen Emotionen und meinem eigenen Verhalten.

Wer mich in meinen Workshops oder Coachings persönlich erlebt, wird früher oder später einen meiner Lieblingssätze hören: „Du kannst für jemand anderes nichts wollen!“

Mein Gegenüber verhält sich auf eine bestimmte Art und Weise. Und das löst bei mir eine bestimmte Reaktion aus. Tut mein Gegenüber das absichtlich? Keine Ahnung. Aber wenn es häufiger vorkommt, NEHME ICH AN, dass dahinter Absicht stecken MUSS.

Und was ist wenn nicht?

Wenn ich – im täglichen Leben und besonders in Konfliktsituationen – meine eigene Gelassenheit bewahren will, muss ich dafür sorgen, dass ich meinen Emtionen nicht zuviel Raum gebe. Wenn sie die Herrschaft übernehmen KANN ICH NICHT NEUTRAL BLEIBEN.

Und wenn ich nicht neutral bleiben kann, werde ich selbst zum Teil des Konfliktgeschehens. Ich wechsle also vom Beobachter des Konflikts auf der Sachebene zum BETEILIGTEN in der Auseinandersetzung. und damit habe ich meine Autorität als Beeinflusser oder Moderator des Konflikts verloren.

Genau das ist übrigens ein Trick von Menschen, die sich mit Konflikten profilieren wollen, insbesondere ein übliches Vorgehen bei Journalisten und Politikern: Man versucht das Gegenüber in einen Konflikt zu drängen, zum Beispiel durch Fragen, die eine unterschwellige Unterstellung enthalten. Wenn das Gegenüber darauf mit einer Verteidigungsrede reagiert – „Aber ich habe doch nie gesagt, dass…“ – werden gezielt weitere Provokationen eingesetzt, damit der Konflikt sich verschärft. „Sie wollen also ernsthaft behaupten, dass…“

Fallen die Provokationen auf fruchtbaren Boden, hat der Gesprächspartner sich in eine Position drängen lassen, in der er aus der neutralen Rolle zur Parteinahme für eine bestimmte Position gedrängt wurde. Und aus dieser Rolle kommt man ohne Image-Schaden nicht mehr heraus.

Deshalb gilt: Wer Konflikte lösen will, darf sich für keine Partei stark machen und muss die eigenen Emotionen unter Kontrolle haben!

 

Das ist keine persönliche Sache!

Egal ob es sich um einen eigenen Konflikt mit jemandem im Team oder um einen Konflikt zwischen anderen Beteiligten handelt: Jeder hat schon einmal die Erfahrung gemacht, dass man sich ganz schnell die Finger verbrennen kann, wenn man sich einbringt. Gerade in Konflikten zwischen Team-Mitgliedern ist es als Führungskraft leicht, sich zwischen alle Stühle zu setzen. Mitarbeiter A versucht  – ebenso wie Mitarbeiter B – die Vorgesetzte auf seine Seite zu ziehen: „Sie denken doch auch, dass…“, „Sie haben ja selbst immer gesagt, dass…“ usw.

Deshalb müssen wir uns immer wieder als Mantra aufsagen: „Das ist keine persönliche Sache! Es hat nichts mit mir als Mensch zu tun! Es hat auch nichts mit meinem Gegenüber als Mensch zu tun! Es geht nur um unterschiedliche Auffassungen oder um eine unterschiedliche Beurteilung der Situation!“

Mit dieser Grundhaltung erkennen wir an, dass sowohl unser Kontrahent wie wir selbst ein großes Interesse daran hat, ein Problem zu lösen und etwas Gutes zu bewirken.

Indem wir auf diese Weise eine neutrale Position einnehmen können, ist der Umgang mit Provokationen wesentlich einfacher. Wir können uns sagen: „Diese Person beschimpft nicht mich als Person, sondern die Rolle, die ich wahrnehme. Ihre negativen Gefühle haben nichts mit mir zu tun. Ich bin nur die Projektionsfläche für eigene Unzufriedenheit oder Sorge.“

Weglaufen gilt nicht!

Leider haben wir als Führungskräfte nicht die Möglichkeit, den Konflikten auszuweichen, die immer wieder auf uns zukommen. Auch wenn wir es viel lieber hätten: Konflikte werden durch unsere Zurückhaltung eher verstärkt als gelöst. Es ist unsere originäre Aufgabe, sie aufzunehmen, zu verstehen, aufzulösen und in etwas Nützliches zu transformieren.

Insbesondere in Situationen größerer Veränderungen im Unternehmen entstehen vielfältige Konflikte:

  • Alte Rollen werden überflüssig und neue Rollen werden geschaffen.
  • Prozesse verändern sich und Ansprechpartner wechseln.
  • Neue Zuständigkeiten sorgen dafür, dass neue Absprachen getroffen werden müssen.
  • Das, was bisher „auf dem kleinen Dienstweg“ gelöst werden konnte, wird plötzlich schwieriger.
  • Das Netzwerk aus persönlichen Beziehungen und das Geflecht aus gegenseitigen Abhängigkeiten verliert plötzlich an Bedeutung.
  • Neue Vorgesetzte haben andere Erwartungen und Vorstellungen an Kommunikation, Abstimmung und Arbeitsergebnisse.

Jeder Konfliktherd im Rahmen dieser Change-Prozesse will bearbeitet und im Idealfall aufgelöst werden. Verantwortlich dafür sind nicht nur die Change-Verantwortlichen im Projekt, die diese Konflikte aufspüren und adressieren müssen, sondern auch und gerade die Führungskräfte in der Organisation. Sie können diese Verantwortung nicht delegieren. Aber sie können bestenfalls gemeinsam mit dem Change-Team versuchen, Wege zu entwickeln, wie die Konflikte in etwas Neues transformiert werden, dass die Organisation weiterbringt. Sei es eine kreative Problemlösung, die Neubewertung eines Prozesses oder die Einführung neuer Führungs- und Gesprächsformate: Konflikte können Geschenke sein.

 

Nicht noch ein Führungskonzept

Nicht noch ein neues Führungskonzept!

 

In den vergangenen 40 bis 50 Jahren hat die Anzahl neuer Führungskonzepte explosionsartig zugenommen. Die Anzahl von Forschungsberichten und Befragungsergebnissen wurde im gleichen Zeitraum immer verwirrender und unübersichtlicher.

Diese Verwirrung ging so weit, dass es heute schwerfällt, die Unterschiede zwischen verschiedenen Führungskonzepten herauszuarbeiten, die in der Management-Literatur in den vergangenen Jahren gefeiert worden sind. Sie greifen teilweise andere Konzepte auf, modifizieren sie geringfügig oder wiederholen Bestandteile, die den Autoren nützlich erschienen, mit anderen Worten

„Nicht noch ein Führungskonzept!“ schimpfte vor einiger Zeit einer meiner Klienten, Inhaber eines größeren mittelständischen Unternehmens. „Ich habe hier schon so viele verschiedene Präsentationen zu diesem Thema gehört, dass ich sie nicht mehr zählen kann. Und jedes Mal wollte man mich davon überzeugen, dass DIESE bestimmte Methode ALLES verändern könnte. Nichts ist dabei herausgekommen!“

Seine Verärgerung konnte ich verstehen.

 

Sind auch Sie verwirrt von der schieren Anzahl und Vielfalt verschiedener Führungsstile, Charaktereigenschaften, Verhaltensweisen und Anforderungen, die in der Management-Literatur an Führungskräfte gestellt werden? Können Sie es auch nicht mehr hören, „so“ sein zu müssen oder „dieses“ zu lassen, damit Sie erfolgreich führen können?

Sie sind nicht allein!

Im Laufe der letzten 20 Jahre hat sich die akademische Forschungsliteratur im Bereich der Führungskonzepte explosionsartig vermehrt. Eine unüberschaubare Anzahl von wissenschaftlichen (und weniger wissenschaftlichen) Beiträgen ist erschienen, die ständig neue Konzepte auf den Markt geworfen haben und so zu erheblicher Verwirrung geführt haben. Denn natürlich gab es dabei Widersprüche, Ähnlichkeiten, Überschneidungen und sogar Kopien, die eigentlich nur anders hießen.

Mal ganz praktisch betrachtet: Im Jahr 1960 gab es insgesamt 2.995 Forschungsarbeiten, die zum Thema Führung veröffentlicht worden sind. Im Jahr 2017 waren es ein paar mehr, insgesamt 114.422 Forschungsberichte, die als „peer-reviewed Papers“ zum Thema Führung erschienen sind und wissenschaftliche Standards eingehalten haben.

Es gab in diesem Jahr 2017 insgesamt 31.339 Arbeiten über Führungsstile, im Vergleich zu nur 499 im Jahr 1960.

 

Mehr Licht ins Dunkel der Führungskonzepte

Allein die schiere Anzahl von Führungskonzepten, Grundlagenartikeln und Ideen über Führung lässt vermuten, warum sich wahrscheinlich viele dieser Arbeiten zu einem gewissen Grad überschneiden und erwartet werden kann, dass sie in gewisser Weise dasselbe Thema abdecken, also redundant sind.

Eine neue Studie eines Forscherteams von der University of North Carolina hat die veröffentlichte Forschungsliteratur zum Thema Führung analysiert, um das Ausmaß der Überschneidungen und Wiederholungen in der Literatur über Führungsverhalten zu ermitteln. Sowohl die Studiendurchführung selbst wie auch ihre Ergebnisse sind komplexer Natur, liefern aber eine hilfreiche Einordnung, um sich in der Fülle der verschiedenen Führungskonzepte zurechtzufinden.

So ermittelte die Untersuchung zum Beispiel, dass das Konzept der authentischen Führung einen signifikanten Anteil der Eigenschaften des Konzepts der transaktionalen Führung wiederholt. Die Studie fand dabei auch heraus, dass das Konzept der authentischen Führung in der Praxis nach Einschätzung von Führungskräften bessere Ergebnisse liefert als das Konzept der transformationalen Führung.

Zu beachten ist aber bei der Interpretation der Studienergebnisse, dass die Messungen und Beschreibungen von Führung und deren Ergebnissen in den verschiedenen Studien sehr unterschiedlich sind. Hier variieren die Studien sehr stark, was einen direkten Vergleich erschwert.

Trotzdem kann festgehalten werden, dass sich viele Führungskonzepte mit der Zeit zu einem gemeinsamen Verständnis und einem Set gemeinsamer Kern-Merkmale mit einer Reihe sich wiederholender Eigenschaften verdichten lassen, die sich in allen untersuchten Arbeiten wiederfinden.

8 Konzepte auf dem Prüfstand

Untersucht wurden insgesamt acht Führungskonzepte, die in der Literatur als eigenständig gelten:

    1. Transaktionale Führung
    2. Transformationale Führung
    3. Charismatische Führung
    4. Laissez-faire
    5. Neue Charismatische Führung
    6. Authentische Führung
    7. Ethische Führung und
    8. Dienende Führung

Von diesen acht Führungskonzepten konnten in der Untersuchung nur vier ihre Eigenständigkeit unter Beweis stellen, weil sie die geringsten Überschneidungen und Wiederholungen zu anderen Konzepten aufwiesen. Dabei handelte es sich um:

    1. Transformationale Führung
    2. Authentische Führung
    3. Dienende Führung („Servant Leadership“) und
    4. Ethische Führung

Die übrigen vier Führungskonzepte lieferten weder einen validen Forschungsnachweis für eine eigenständige konzeptionelle Unterscheidbarkeit noch Beweise dafür, dass sie zu den Ergebnisse beitragen, die ihnen in der Literatur zugeschrieben werden.

Die einzige Ausnahme bildet die so genannte Laissez-faire-Führung, die eigentlich ein Konzept der „Nicht-Führung“ ist. Laissez-faire-Führungskräfte entziehen sich ihrer Führungsverantwortung, sind nicht anwesend, wenn sie gebraucht werden und weigern sich, Entscheidungen zu treffen oder ihre eigene Meinung zu wichtigen Angelegenheiten zu äußern. Entscheidungen werden ausschließlich als Ergebnis von Team-Prozessen angesehen, die möglichst ohne Intervention durch eine Führungskraft zustande kommen sollten. Laissez-faire-Führung ist somit zwar als Konzept klar definiert und dadurch von anderen Führungskonzepten unterscheidbar, stellt aber in Wirklichkeit eine Methode dar, sich der Verantwortung für Führung zu entziehen.

Wo wirken sich Führungsmethoden konkret aus?

Die größten Übereinstimmungen zwischen dem Verhalten der Führungskraft und den Ergebnissen des Führungshandelns finden sich in folgenden Bereichen:

Arbeitsleistung: Transformationale, ethische und dienende Führungsstile lieferten in der Untersuchung sehr ähnliche Ergebnisse in Bezug auf die Arbeitsleistung. Es konnte ein kleiner bis mittlerer Einfluss auf die Arbeitsleistung durch den verwendeten Führungsstil nachgewiesen werden.

Der authentische Führungsstil hatte keinen nennenswerten Einfluss auf die Arbeitsleistung insgesamt. Bei Laissez-faire-Führungsmethoden konnte ein überwiegend negativer Einfluss auf die Arbeitsleistung nachgewiesen werden.

Teamleistung: Dienende Führung hatte einen mittleren bis großen positiven Einfluss auf die Team-Leistung, während der Einfluss von transformationaler, authentischer und ethischer Führung einen etwas geringeren moderaten Einfluss auf die Ergebnisse in diesem Bereich im Vergleich zu transaktionaler Führung hatten.

Gesellschaftliches Miteinander in der Organisation: Authentische Führung hat den größten positive Einfluss auf das soziale Verhalten der Mitarbeiter untereinander, während transformationale, dienende und ethische Führungskonzepte keinen erkennbaren Einfluss auf das gesellschaftliche Miteinander innerhalb der Organisation haben.

Wechselwilligkeit der Mitarbeiter und Kündigungsquoten: Ethische und „dienende“ Führungsstile tragen am meisten zur Verringerung der Jobwechsel-Absichten von Mitarbeitern bei und erhöhen signifikant die Bindung an das Unternehmen. Es gibt wenig oder keine konsistenten Hinweise darauf, ob transformationale Führung oder authentische Führung Einfluss auf die Wechselwilligkeit haben.

Zusätzlich stellt die Studie fest, dass drei der primären Führungskonzepte, nämlich die Methoden der transformationalen, der authentischen und der ethischen Führung sich so stark ähneln, dass sie in eine breitere Kategorie als „moralische Führung“ zusammengefasst werden können.

In Übereinstimmung mit den jüngsten systematischen Auswertungen ist damit die Methode der dienende Führung („Servant Leadership“) diejenige, die am besten definiert ist, sich am klarsten von anderen Führungskonzepten abgrenzt und nachweisbar die konsistentesten Ergebnisse in Bezug auf die oben genannten vier Bereiche liefert.

Mein Fazit: Wir brauchen nicht noch mehr Führungsmodelle und -konzepte. Wir sollten uns lieber darauf konzentrieren, unseren Führungskräften in der konsequenten Umsetzungen einer Führungsphilosophie fachlich sattelfest und konsequent in der täglichen Umsetzung zu sein.

Quelle: 

Banks, G. C., Gooty, J., Ross, R. L., Williams, C. E., & Harrington, N. T. (2017). Construct redundancy in leader behaviors: A review and agenda for the future. The Leadership Quarterly.